Die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte zum Urlaubsrecht hat sich in den vergangenen Jahren nahezu umgekehrt. Grund sind europarechtliche Vorgaben. So erkennt das Bundesarbeitsgericht inzwischen etwa an, dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht am 31. März des Folgejahres verfällt, wenn er krankheitsbedingt vom Arbeitnehmer nicht genommen werden konnte (Urteil vom 24. März 2009, 9 AZR 938/07). Bis zu diesem Urteil hatte das Gericht eine gegenteilige Auffassung vertreten. Diese war nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allerdings mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie nicht vereinbar.
Weiteres Beispiel: Gewährt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unbezahlten Sonderurlaub, bleibt sein Anspruch auf Erholungsurlaub gleichwohl bestehen (Urteil vom 6. Mai 2014, 9 AZR 678/12). Dies begründet das Gericht mit dem Fehlen einer gesetzlichen Vorschrift zur Kürzung des Urlaubsanspruchs.
Eine solche Kürzungsmöglichkeit enthält allerdings § 17 BEEG bei Elternzeit. Danach kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Von dieser Kürzungsmöglichkeit muss der Arbeitgeber allerdings im laufenden Urlaubsjahr Gebrauch machen. Ein späteres Berufen auf diese Kürzungsmöglichkeit führt nicht zu einer Verringerung des Anspruchs. Endet das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit ohne Kürzung, kann der Arbeitnehmer daher Abgeltung des (vollen) Erholungsurlaubs verlangen (Urteil vom 19. Mai 2015, 9 AZR 725/13).
Stellt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung frei, wird damit der Urlaubsanspruch nur dann erfüllt, wenn die Freistellung ausdrücklich zur Urlaubsgewährung erfolgt. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos und vorsorglich fristgerecht gekündigt, kann er den Arbeitnehmer vorsorglich unter Anrechnung auf den Urlaub von der Erbringung der Arbeitsleistung freistellen. Zu einer Erfüllung des Urlaubsanspruchs führt dies aber nur, wenn er mit der Freistellung dem Arbeitnehmer die Zahlung des Urlaubsentgelts vorbehaltlos zusagt (BAG, Urteil vom 10. Februar 2015, 9 AZR 455/13). Der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz beziehe sich sowohl auf die Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung als auch zur Zahlung des Urlaubsentgelts. Dies hatte das Bundesarbeitsgericht zuvor anders beurteilt.
Im Ergebnis ergeben sich eine Vielzahl von Neuerungen, die Arbeitnehmern möglicherweise schon verloren geglaubte Urlaubsansprüche oder Abgeltungsansprüche eröffnen. Arbeitgeber müssen bei urlaubsrelevanten Tatbeständen sorgfältig prüfen, ob und wie wirksam eine Urlaubsgewährung herbeigeführt werden kann, um spätere Abgeltungsansprüche zu vermeiden.