Das sog. „Corona-Virus“ hat die deutsche Wirtschaft mittlerweile fest im Griff. Die Unsicherheit, gerade im deutschen Mittelstand, ist groß. Zahllose Unternehmen auf allen Stufen der Produktions- und Lieferkette fragen sich, ob sie die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen noch erfüllen müssen bzw. was passiert, wenn sie ihren Pflichten aufgrund der aktuellen Lage gar nicht mehr nachkommen können. Drohen ihnen hierfür im Zweifel noch Schadensersatzpflichten oder anders herum: Können sie von ihrem Vertragspartner Schadensersatz verlangen, wenn Lieferungen nicht mehr (rechtzeitig) erfolgen oder Aufträge storniert werden?

Welches Recht ist anwendbar?

Die Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen hängt in erster Linie mit dem im konkreten Fall anwendbaren Recht, zusammen. Standen bisher insbesondere die internationalen Geschäfts- und Lieferbeziehungen zu Unternehmen in den schon seit längerer Zeit betroffenen Staaten außerhalb und innerhalb der EU (z.B. China bzw. Italien) im Fokus, sind spätestens seit Beginn dieser Woche auch rein innerstaatliche Geschäftsbeziehungen von diesem Thema betroffen.

Zu prüfen ist daher immer zuerst, welche Rechtsordnung in der konkreten Geschäftsbeziehung Anwendung findet. Hierzu ist eine Prüfung der abgeschlossenen Verträge nebst (meist von beiden Seiten) eingebrachter AGB unerlässlich.

Force-Majeure-Klauseln („höhere Gewalt“)

Zahlreiche Verträge und Geschäftsbedingungen sehen Regelungen für Fälle „höherer Gewalt“ vor, sog. „Force-Majeure“-Klauseln. Eine typische Formulierung – z.B. in Lieferverträgen – lautet:

„In Fällen höherer Gewalt ist die hiervon betroffene Vertragspartei für die Dauer und im Umfang der Auswirkung von der Verpflichtung zur Lieferung oder Abnahme befreit.“

Sollte eine solche Klausel wirksam Vertragsbestandteil geworden sein (was im Einzelfall zu prüfen ist), können sich Lieferant bzw. Abnehmer mit guten Chancen dagegen wehren, ihre vertraglichen Pflichten (rechtzeitig) erfüllen zu müssen. Relevant ist hierbei zudem, ob und wie die Klausel die Fälle der höheren Gewalt näher definiert hat. Relevant ist daneben auch die Bewertung der tatsächlichen Auswirkungen in der konkreten Vertragsbeziehung.

Zu beachten ist dabei jedoch, dass das als höhere Gewalt zu klassifizierende Ereignis (hier: das Corona-Virus) der Leistungsverpflichtung nicht dauerhaft entgegenstehen muss. Nach Beruhigung der derzeitigen Lage kann es daher in einer Vielzahl von Fällen auch zu einem Wiederaufleben der vertraglichen Pflichten kommen. Der nicht leistungsfähige Vertragspartner hat zudem darzulegen, dass gerade aufgrund des Ereignisses die Leistungsfähigkeit nicht gegeben ist. Dies bedeutet: Kein Vertragspartner kann sich pauschal auf „das Corona-Virus“ berufen, sondern muss konkret darlegen, wieso er nicht in der Lage ist, seine vertraglichen Pflichten (rechtzeitig) zu erfüllen. Soweit zumutbar, sind für die Erfüllung der eingegangenen Pflichten auch größere Anstrengungen zu unternehmen.

Unabhängig davon kann eine Auslegung der Vertragsklauseln auch ergeben, dass eine der Vertragsparteien – unabhängig von den äußeren Umständen – z.B. das sog. Beschaffungsrisiko übernommen hat.

UN-Kaufrecht – CISG

In internationalen Geschäftsbeziehungen ist zur Beurteilung der Rechtslage oftmals das UN-Kaufrecht (CISG) interessant. Art. 79 CISG regelt dabei ausdrücklich:

„Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, daß die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflußbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und daß von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluß in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.“

Ein nicht leistungsfähiger Lieferant hätte demnach nicht dafür einzustehen, wenn er nicht oder nur zu spät liefern kann. Gleichwohl ist auch hier zu beachten, dass nach dem Wegfall der leistungshindernden Ereignisse die vertraglichen Pflichten zumeist wiederaufleben dürften. Auch hier ist der Grund für das Leistungshindernis zu konkretisieren.

Nationales Recht – BGB

Bei rein nationalen Sachverhalten ist unter Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu prüfen, ob die Erfüllung der Leistungspflicht im Einzelfall aufgrund der herrschenden Umstände ggf. nach § 275 BGB unmöglich geworden ist. § 275 Abs. 2 BGB sieht zudem ein Leistungsverweigerungsrecht vor, wenn die Erfüllung der vertraglichen Pflicht wirtschaftlich unzumutbar ist. In der Folge erlöschen dann auch die Vergütungsansprüche, § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Nur wenn der nicht leistungsfähige Vertragspartner seine fehlende Leistungsfähigkeit verschuldet hat, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht. In Betracht kommt nach deutschem Recht zudem ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages nach § 313 Abs. 1 BGB.

In allen Fällen ist jedoch auch hier der Grund für das Leistungshindernis zu konkretisieren.

Fazit

Eine allgemeingültige Aussage zum Schicksal gegenseitiger vertraglicher Pflichten lässt sich nicht treffen. Stets ist der Einzelfall zu prüfen. Festhalten lässt sich jedoch, dass derjenige, welcher sich von seinen vertraglichen Pflichten lösen möchte, dies nicht pauschal mit „dem Corona-Virus“ begründen kann. Vielmehr wird der nicht leistungsfähige bzw. -willige Vertragspartner den Grund für das Leistungshindernis näher darzulegen haben. Ein pauschales „Corona-Kündigungsrecht“ gibt es nicht!

Autor: Rechtsanwalt und Notar Andreas Stein